03.10.2020: INGOLF LÜCK

„Neustart Kultur“ in Lantershofen

Erstmals Theater bei Kulturlant – Viel Beifall für Ingolf Lück

Die Corona-Pandemie zwang den Grafschafter Verein Kulturlant im Frühjahr, gleich sieben Veranstaltungen zu verschieben. Am vergangenen Samstag sollte nun die neue Spielzeit 2020/21 starten. Und das tat sie auch. Unter strengen Auflagen der aktuellen Verordnungen schlug der Verein einen neuen Weg ein. Waren bisher auf der Lantershofener Bühne vor allem Kabarett und Konzerte der Unterhaltungsmusik zu erleben, stand nun ein recht ernstes Theaterstück an. „Seite Eins“ schrieb der 1967 in Trier geborene Johannes Kram im Jahr 2014. Das Werk mit dem Untertitel „Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone“ hat die Arbeit des Boulevardjournalismus zum Inhalt und bedient dabei sämtliche Klischees. Gespielt wurde das Stück von Ingolf Lück, der eigentlich mehr als Comedian oder Kabarettist bekannt ist, in Lantershofen aber große schauspielerische Qualitäten zeigte.

Lück verkörperte den Boulevard-Journalisten Marco auf der Jagd nach der großen Story. Dabei war er entweder ständig am telefonieren, oder er erklärte Publikum die Sinnhaftigkeit seines Berufsstandes, indem er mit dem serösen Journalismus abrechnete. Boulevard sei keine Lügenpresse, er interessiere sich vielmehr für die Menschen und die Wahrheit der Menschen. In seinem Monolog über die Herrlichkeit des Boulevard drückte Marco sogar mehrmals Anrufe weg, immer wieder ertönte die Handymelodie „Don‘t Stop me Now“ von Queen. Marco redete derweil über Respekt und Verantwortung. Dann ging er ran ans Handy. Am anderen Ende war Lea, eine junge Sängerin mit erster CD, ein Frischling im Business auf der Suche nach Werbemöglichkeit. Die gab ihr Marco, aber auf seine Art und Weise. Nicht Leas Musik stellte er in den Vordergrund, sondern ihre vermeintliche Liebe zum Unternehmer-Erben Philipp. Und so kam Lea recht fragwürdig auf Seite Eins, wo getitelt wurde: „Der Industrie-Erbe und das Partygirl – ist das wirklich Liebe?“

Nur zu gut, dass er sich bei seinen Recherchen vertan hatte, denn nicht der angehende Großerbe war besagter Philipp, es war ein anderer Philipp. Der Erbe meldete sich und drohte mit Klagen, Lea meldete sich und drohte damit, in einer Talkshow alles richtigzustellen. Jetzt zeigte sich der wahre Boulevard-Journalist und trieb Lea durch eine kleine, perfide Erpressung in die Enge. Das Kalkül ging auf.

Johannes Krams „Seite Eins“ ist ein gleichermaßen unterhaltsames wie bitterböses Stück, das beim Lantershofener Publikum ankam, Lück erhielt minutenlangen Beifall von den rund 90 Besuchern. Das waren noch einmal 40 Gäste weniger, als aktuell bei Kleinkunst in Lantershofen zulässig sind. „Wir dürfen rund die Hälfte unserer gut 250 Plätze besetzen, aber die Karten muss man erst einmal verkaufen“, so Vorstandssprecherin Marie-Luise Witsch. Dass der Verein derzeit so gut wie immer defizitär arbeitet, betonte die Sprecherin auch, machte aber gleichzeitig auch klar: „Wir haben als Grafschafter Verein weder Miet-, noch große Personalkosten und werden eines nicht tun, nämlich Agenturen bitten, die Künstlergagen zu verringern. Dazu ist die Branche zu sehr betroffen.“ Man sei guter Dinge, unter den gegebenen Voraussetzungen noch eine Weile Kultur anbieten zu können, zumal es große Unterstützung von der Kommune, aus der Wirtschaft und von Privatleuten gebe, ergänzte Vorstandssprecher Udo Rehm. Das Hygienekonzept mit Fiebermessungen durch das DRK am Eingang, Platzzuweisungen und ständigem Luftaustausch fand viel Lob bei den Besuchern.

Veranstaltungsankündigung

Ingolf Lück in „Seite Eins – Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone“
Von Johannes Kram

Marco ist Journalist. Boulevardjournalist aus ganzer Überzeugung. Tratsch und Klatsch sind überall, sie haben es vom Frisörsalon bis in die „seriöse“ Presse gebracht. Die voyeuristischen Stimmen begleiten und verfolgen Menschen durch Affären und Krisen, an deren Ende sie entweder schnelle Popularität erlangen oder daran zugrunde gehen. Marco liebt diese Macht und verehrt sein Metier als Kunst. „Zuckerbrot und Peitsche“, das ist seine Maxime. Auf der ständigen Jagd nach einer gut verkäuflichen Story lernt er Lea kennen. Sie hat gerade ihre erste CD rausgebracht und ist noch ein echter Frischling im Business. Marco wittert mit seinem untrüglichen Instinkt sofort die perfekte Beute. Er stellt Lea eine Titelstory und damit den großen Durchbruch in Aussicht. Lea sind Boulevard-Medien zwar suspekt, sie lässt sich aber von den scheinheiligen Versprechungen des skrupellosen Journalisten einlullen. Er bringt die Story, wenn auch etwas anders als besprochen. In seiner aus Halbwahrheiten zusammenphantasierten Version wird Lea von einer ernstzunehmenden Künstlerin zum Promiluder, das sich als Imagepolitur den Erben einer Unternehmerdynastie geangelt hat. Das schlägt ein, allerdings auch für Marco etwas anders als erwartet. Einen kurzen Moment steht er selbst mit dem Rücken zur Wand. Doch dann schafft er es, Lea durch eine kleine, perfide Erpressung in die Enge zu treiben. Er bringt sie zur nächsten Entblößung und macht sie damit endgültig zum Freiwild im Blitzlichtgewitter. Johannes Krams „Seite Eins“ ist ein gleichermaßen unterhaltsames wie bitterböses Stück, das die zum Teil verantwortungslose Maschinerie moderner Massenmedien entlarvt. Ein Angebot, hinter die Kulissen zu schauen, die eigene Haltung gegenüber Medien zu reflektieren. Wo hört investigativer Journalismus auf und wo fängt menschenunwürdige, respektlose Berichterstattung an? Und welche Rolle spielt dabei die eigene Lust am Voyeurismus?

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