11.02.2023: MATTHIAS REUTER

Pazifistische Hasen und die Atomstromgruppe „Glückspilz“

Kabarettist Matthias Reuter bot ein fulminantes Gastspiel

Mit dem Oberhausener Kabarettisten Matthias Reuter war am vergangenen Samstag ein Top-Künstler seiner Branche in Lantershofen zu Gast – auch wenn dieser dank mangelnder Fernsehpräsenz noch relativ unbekannt ist. Was Reuter allerdings singend an Flügel oder mit Westerngitarre sowie als Geschichtenerzähler aus seinen literarischen Werken auf die Bühne brachte, lockte die 120 Gäste im Winzerverein zu langen Ovationen. Reuter entpuppte sich als besonders vielseitiger Vertreter von Lyrik und Literatur. Immer wieder griff er dabei die Geschichten um seine Lieblingskassiererin im Supermarkt auf, wegen derer Performance an der Kasse, wo sie jeden Einkauf lautstark zu dokumentieren wusste, er fast täglich einkaufen ging. Die „Frau Schröder“ hatte es ihm – ganz nach dem Vorbild niederländischer Plauderkassen in Märkten – angetan.

Vor allem aber wußte Reuter musikalisch in seinem aktuellen Programm „Karrierefreies Wohnen“ zu gefallen. „Ich hab die ganze Zeit geübt“ so seine musikalische Antwort auf die Frage, was er denn in der Zeit der Corona-Pandemie so alles gemacht habe. Nun ist Reuter froh, wieder auf der Bühne stehen zu können, vor allem in der Grafschaft, wie er betonte: „Denn hier sind die Kulturzentren noch beheizt.“ Muss mal wieder irgendwo Energie eingespart werden und ist es kalt, weiß Reuter ein probates Gegenmittel und begibt sich in den öffentlichen Verkehr, denn: „Es ist nirgendwo so warm, wie im Bus“, was besonders im Sommer gelte. Reuter dokumentierte seine Vielseitigkeit, als er der Aufforderung eines Freundes, doch mal eine Fabel zu schreiben, folgte. So entstand die Rüstungsexportfabel vom pazifistischen Hasen, der alle seine Waldmitbewohner militärisch aufrüstete, sich selbst aber waffenfrei hielt. Überhaupt waren es die seltenen Themen, die der Musiker aufwarf. So kreierte er aus seinem Lieblingswort einen Lieblingssong namens „Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“ und nahm mit dem Titel „Im kleinen Kraftwerk um die Ecke brennt noch Licht“ als Liedermacher der Atomstromgruppe „Glückspilz“ am Chanson-Wettbewerb der Atomlobby teil. Vergebene Liebesmüh waren dagegen Reuters Versuche, auf den Karnevalsbühnen Fuß zu fassen. Meist wurde er bei den Vorstellabenden schon bei der zweiten Strophe seines närrischen Beitrags „Es gibt keine Kölner im All“ auf die Straße gesetzt. In Lantershofen konnte er den Song wenigstens komplett vortragen. Da gefiel ihm dann das in Mönchengladbach verbreitete mehrsprachige Erklär-Werk, wie denn der rheinische Karneval zu funktionieren habe und wie nicht, besser. „Das ist alles ganz anders gemeint“, lautete der dazu passende „Karnevalserklärungsbroschürensong.“ Unterm Strich verblieb für Reuter vor allem eins: „Endlich wieder Kultur.“ Das Publikum dankte Matthias Reuter mit langem Applaus und war sich am Ende einig: „Einen solch tollen Kabarettisten haben wir noch selten erlebt.“

Veranstaltungsankündigung

Karrierefreies Wohnen

Manchmal wird ein Programmtitel zum Alltag. Als Matthias Reuter sein neues Kabarettprogramm „karrierefreies Wohnen“ nannte, ahnte er nicht, dass er das dann erstmal ein Jahr lang machen würde. Doch nicht nur für Inzidenzen gilt: wenn alles ständig eskaliert, ist es das Beste, man pausiert. Wo Medien, Politik und Mitmenschen zunehmend hysterischer werden, setzt Reuter auf Ruhe. Und Humor. Aber für beides braucht man Zeit. Und so beantwortet er die uralte schwedische Möbelverkäuferfrage „Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“ mit dem Satz „Ich wohne. Um noch was vom Leben mitzukriegen.“ Je nach Nachbarschaft ist das ja auch schon Event genug. Karrierefreies Wohnen ist der Versuch, im vierten Stock am Boden zu bleiben, während gleichzeitig vor der Tür der ganz normale Wahnsinn patrouilliert: weltreisende Viren, wahlkämpfende Wichtigtuer, falsche Dachdecker und Polizisten, Plauderkassen im Supermarkt und Saugroboter mit Kosenamen. Und ständig die bange Frage: Ist Kabarett überhaupt noch systemrelevant? Reuter ist da optimistisch, denn der Mann von der Reinigung hat ihn neulich gefragt, wann er endlich mal wieder aufritt und seine Hemden und den Anzug vorbeibringt. Immerhin! Und so macht sich Matthias Reuter pflichtbewusst auf den Weg in die Kleinkunsttheater der Republik, um Klavier zu spielen, Geschichten zu lesen, Menschen zu unterhalten und seinen Anzug zu verschmutzen. Denn das geht wirklich nur auf der Bühne.

Matthias Reuter ist Autor und Musikkabarettist aus dem Ruhrgebiet. Er kann seit 2010 davon leben (sagt das Finanzamt). Bis 2070 muss er davon leben (sagt sein Rentenbescheid) Für seine Auftritte hat Reuter einige Kabarettpreise bekommen, zuletzt den Dresdner Satirepreis 2019, aber auch den Jurypreis von „Tegtmeiers Erben“ im Jahr 2011. Die CDs zu seinen Programmen sind im Kölner WortArt-Verlag erschienen. Das Kurzgeschichtenbuch „Rentnerfischen im Hallenbad“ erschien 2019 im Berliner Satyr-Verlag.

Pressezitate:

Am Klavier läuft Reuter zur Hochform auf. Romantisch, poppig, jazzig, rockig und fingerfertig bringt er den Steinway in Rage mit seinem NRW-Abi-Blues oder dem in Ruhrpott-Russisch gebellten Song, der ungeahnte Einblicke in eine Weltverschwörung russischer Hacker eröffnet, deren anonymes Haupt “die Doris” im Callcenter von O2 ist. (…) Lieber Humor und eine große Klappe, als einen Kleinen Waffenschein. Ja, warum nicht? (Badische Zeitung, 30.01.2020, Dorothee Philipp)

„Wer Roski mag, wird Reuter lieben.“ (Bonner Generalanzeiger, März 2016)

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